ASR Andreas Scheffler Rechtsanwalt
... und aus dem Problem wird eine Lösung!

Der nicht abgesagte Termin - ein ständiges Ärgernis


Endlich gibt es (ein wenig mehr) Klarheit bei der Zulässigkeit von Ausfallpauschalen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in einem Urteil vom 12.05.2022 (III ZR 78/21) mit der seit Jahrzehnten diskutierten Frage befaßt, wie eine Ausfallpauschale für unentschuldigt nicht wahrgenommene Termine zu beurteilen ist. Die Entscheidung zusammengefaßt:


I. Der Fall
Eine Praxis für Ergotherapie verklagte einen Patienten auf Zahlung einer Ausfallpauschale iHv. 25 EUR, weil ein Termin angeblich nicht rechtzeitig abgesagt worden war. Tatsächlich war das zu behandelnde Kind kurzfristig erkrankt. Die Behandlung hätte wegen nicht erfüllter Vorgaben der Corona-Schutzverordnung seitens der Praxis nicht erbracht werden können / dürfen.


Die Klausel zur Ausfallpauschale war im Anmeldeformular unter der Überschrift "Wichtige Informationen" enthalten. Sie lautet (Auszug):
"Können Termine nicht eingehalten werden, müssen diese mindestens 24 Stunden vorher abgesagt werden. Andernfalls wird Ihnen unabhängig von einer Begründung des kurzfristigen Ausfalls gemäß § 293 ff. BGB (gesetzliche Regelungen zum Annahmeverzug) eine Ausfallpauschale in Höhe von 25,00 Euro privat in Rechnung gestellt. Entsprechendes gilt für ... nicht abgesagte Termine. Mit Ihrer Unterschrift erkennen Sie die Vereinbarungen an und erklären sich mit ihnen einverstanden"


In einer darunter befindlichen Unterschriftenzeile sollte der Patient unterschreiben, was im Fall auch geschehen war.


II. Die Entscheidung
Der BGH hat den (für den Anspruch der Praxis notwendigen) Annahmeverzug nicht als gegeben angesehen, so daß die Klage abgewiesen wurde und die Praxis den Prozeß verlor.


III. Die maßgeblichen Erwägungen


Der BGH stellt fest: ...


1. Bei der Regelung einer Ausfallpauschale in den Anmeldeformularen handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), deren Einbeziehung in den Vertrag (vorliegend) nicht zweifelhaft ist.


2. Als Grundlage für die verlangte Ausfallpauschale kommt entweder die Vereinbarung in den Anmeldeformularen selbst, sonst § 615 Satz 1 i.V.m. § 630a Abs. 1 BGB in Betracht. Die Vorschrift des § 615 BGB ist auf Behandlungsverträge anwendbar. Nach § 615 Satz 1 BGB kann der zur Dienstleistung Verpflichtete die nach § 611 BGB vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung der nicht erbrachten Dienste verpflichtet zu sein, wenn der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät. Im Kern dasselbe sieht die Regelung im Anmeldeformular vor.


3. Der Anspruch setzt voraus, daß die Beklagte (als Gläubigerin der ergotherapeutischen Dienstleistungen) durch die Absage der Behandlungstermine in Annahmeverzug im Sinne der §§ 293 ff BGB geraten ist. Dies hat der BGH letztlich verneint, so daß die Klage abgewiesen wurde und die Praxis den Prozeß verlor.


IV. Für die Praxis bemerkenswert sind folgende Aussagen in dem Urteil:
1. Die Vereinbarung eines Behandlungstermins ist eine Nebenabrede im Rahmen des Behandlungsvertrages, deren Inhalt im Wege der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln ist. Durch seine Unterschrift erklärt der Patient sein Einverständnis mit der Verbindlichkeit der Terminvereinbarungen. Ein Behandlungstermin ist also verbindlich.


2. Der Vergütungsanspruch aus § 615 BGB richtet sich gegen den Patienten selbst, auch wenn dieser gesetzlich krankenversichert ist.


3. Das Erscheinen zum vereinbarten Behandlungstermin ist eine kalendermäßig bestimmte Mitwirkungshandlung. Wird diese unterlassen, erscheint der Patient also nicht, kann das den Annahmeverzug begründen, mit der Folge, daß eine Ausfallpauschale grundsätzlich fällig werden könnte.


4. Nach § 297 BGB kommt der Patient jedoch nicht in Verzug, wenn die Praxis im Falle des § 296 BGB an dem für die Behandlung bestimmten Termin außerstande ist, die Behandlung zu bewirken. Hier erfüllte die Praxis die Bestimmungen der Coronaschutzverordnung vom 22. März 2020 nicht, so daß die Behandlung unabhängig vom Nichterscheinen nicht hätte erbracht werden können (dürfen).


5. Da die in dem Anmeldeformular enthaltene Klausel zur Berechtigung einer Ausfallpauschale bereits deshalb nicht eingreift, weil die Voraussetzungen des Gläubigerverzugs (§§ 293 ff BGB) nicht vorliegen, kann dahinstehen, ob sie im Übrigen einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff BGB standhalten würde, also wirksam wäre. Diese Frage hat der BGH also nicht entschieden.


V. Bewertung
Vereinbarte Behandlungstermine sind verbindlich. Grundsätzlich ist daher eine Ausfallpauschale denkbar. Diese kann in einem Anmeldeformular vereinbart werden, dann handelt es sich um AGB. Die Pauschale richtet sich auch bei gesetzlich Versicherten gegen den Patienten und nicht gegen die Kasse. Der Anspruch setzt voraus, daß der Patient sich im Verzug mit der Annahme der Behandlungsleistung befindet. Ein (Annahme-) Verzug des Patienten scheidet aus, wenn die Praxis unabhängig von dem Ausbleiben des Patienten nicht zur Behandlung in der Lage war (hier: Vorgaben der Corona-Schutzverordnung nicht erfüllt).


VI. Ausblick
Folgende Fragen brauchte der BGH nicht zu entscheiden, sie sind deshalb offengeblieben:
In welcher Höhe ist eine Ausfallpauschale zulässig? Diese Frage dürfte für die Praxis von besonderem Interesse sein, schwankt doch die Höhe der Ausfallpauschalen ganz beträchtlich von 25 EUR (Podologie / Ergotherapie / Allgemeinarzt) bis hin zu 100 EUR (radiologische Praxis).


Auffällig ist die starre Absagefrist von 24 Stunden unabhängig vom Grund der Absage. Erkrankt ein Patient kurzfristig später als 24 Stunden vor dem Termin und ist deshalb unverschuldet gehindert, den Behandlungstermin wahrzunehmen, dürfte eine starre, verschuldensunabhängige Klausel kaum haltbar sein.


Da der BGH in dem hier entschiedenen Fall auf die Regelungen zum Annahmeverzugslohn abstellt, dürfte es sich nicht um eine Vereinbarung eines pauschalierten Anspruchs auf Schadensersatz handeln, deren Wirksamkeit bekanntlich u.a. erfordert, daß der Nachweis eines geringeren Schadens in der Vertragsklausel gestattet wird. Auch geht der BGH offenbar nicht von einer Vertragsstrafenregelung aus. Wie der BGH dies für andere Fallkonstellationen beurteilen wird, bleibt abzuwarten.


Wenn Behandlungstermine verbindlicher Bestandtteil des Behandlungsvertrages sind, stellt sich die Frage, welche Rechte hieraus für den Patienten resultieren, wenn die Behandlung wegen langer Wartezeit verspätet erfolgt. so stellt sich etwa die Frage, ob dem Patienten in dem Fall ein Schadenersatzanspruch erwächst.


VII. Hinweis
Der Patient, der den Termin nicht einhalten kann, kann den Vertrag auch ohne Begründung und kurzfristig kündigen. Eine Ausfallpauschale dürfte in dem Fall nicht verlangt werden können. Allerdings können der Praxis dann Ansprüche auf Teilvergütung und Schadenersatz gemäß § 628 BGB zustehen.
© RA Andreas Scheffler Stand: 09/2023. Irrtum und Änderungen vorbehalten! Keinerlei Haftung!